Juli 1914
Vorwort

Juli 1914 - Ein Lesebuch

Wer sich auf die Suche nach den Gründen begibt, wie es zum Ersten Weltkrieg kommen konnte, wird einen der fatalsten, aber auch am besten dokumentierten Konflikte der Geschichte entdecken.

Dieses Lesebuch folgt der packenden Chronologie der Ereignisse zwischen der Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolgers in Sarajewo (28. Juni) und dem Kriegsausbruch (2. - 4. August). Es führt während dieser knapp vierzig Tage aber auch auf allerlei Umwege und Exkurse, um Vorgeschichte und Umfeld der „Julikrise“ in allen Facetten auszubreiten.
Dazu gehört, dass alle wichtigen Akteure einzeln unter die Lupe genommen werden und in vielen Zitaten zu Wort kommen dürfen. Denn nur so lässt sich verstehen, was sie antrieb, welche Kräfte wirkten und warum sie mehr gegeneinander als miteinander agierten. Es wird aber auch gezeigt, wie die normalen Menschen diese Krise erlebten, wie die verschiedenen politischen Lager die Situation beurteilten und was die Presse berichtete. Dabei wird offenkundig, wie das Volk in diesen entscheidenden Tagen von seinen Politikern belogen und irregeführt wurde. Diese Lügen aber ließen die Menschen nicht nur willig in einen sinnlosen Krieg ziehen, sondern wirkten auch nach dessen Ende weiter und wurden zum Nährboden, der Hitler groß machte.

Um trotz der Fülle an Fakten gut lesbar zu sein, wurde dieses Buch bewusst nicht als wissenschaftliches Werk verfasst, obwohl der Inhalt natürlich auf historischen Quellen und seriöser Sekundärliteratur beruht. Stattdessen will es auch diejenigen, die nicht über viel Vorwissen verfügen, auf eine spannende Reise in die Vergangenheit mitnehmen. Eine Reise, bei der es weniger darauf ankommt, sich jedes Detail zu merken, als vielmehr, sich sein eigenes Bild zu machen.

Denn wer sich heute auf die Suche nach den Kriegsgründen begibt, wird schnell feststellen, wie leicht man auch nach 100 Jahren noch zwischen die Fronten gerät. Das Spektrum der Ansichten über diese „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ reicht von „Alle sind hineingeschlittert“ bis „Deutschland griff nach der Weltmacht“. Oft genug stößt man bei Gesprächspartnern auf feste, sogar unerschütterliche Meinungen. Auch die Wissenschaft bietet keine eindeutigen Antworten. Lange ging sie von einer fatalen politischen Konstellation aus, die alle Beteiligten ungewollt in den Abgrund riss. Später konzentrierte man sich weitgehend auf die treibende Rolle Deutschlands. In jüngster Zeit wird dagegen – gerade in der englischsprachigen Forschung – auch die Politik der anderen Großmächte wieder sehr viel kritischer gesehen.

Dieses Buch will deshalb kein zu glattes Bild der Ereignisse zeichnen, sondern zeigt den Interpretationsspielraum, die Widersprüche und Unklarheiten auf, die trotz aller Forschung weiterhin gegeben sind. Es konzentriert sich dabei – gegen den aktuellen Trend – auf Deutschland, denn Dreh- und Angelpunkt der Ereignisse war nun mal Berlin.

Was sich hier - im Zentrum des Irrsinns – abspielte, ist dabei auf ganz eigene Weise interessant. Denn während der Zweite Weltkrieg durch die im Grunde unfassbare Unmenschlichkeit des Hitler-Regimes ausgelöst wurde, waren am Ersten viel banalere, alltäglichere Fehler und Schwächen schuld. Deshalb will dieses Buch weniger die Schuldigen von damals an den Pranger stellen als vielmehr den allgemeingültigen, psychologischen Phänomenen hinter dem Handeln der Entscheidungsträger auf die Spur kommen. Es kann gut sein (und ist durchaus beabsichtigt), dass sich beim Lesen unwillkürlich Vergleiche zur Gegenwart aufdrängen, zu politischen Pannen, verkorksten Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen, der Verführbarkeit der Massen und dem immer noch weit verbreiteten Bedürfnis nach einfachen Wahrheiten. Doch gerade diese Parallelen machen es lohnend, sich auch heute noch mit dem zu beschäftigen, was vor 100 Jahren schief ging. 

 

 

 

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